Friedensethik

Krieg. Stell dir vor, er wäre hier.

 

»Die Vorstellung, das eigene Leben könnte sich in ein Flüchtlingsdasein verwandeln, kommt der von einem Leben auf dem Mars gleich.« Im Nachwort zu ihrem Buch »Krieg – Stell dir vor, er wäre hier« geht die Schriftstellerin Janne Teller auf diese Problematik ein. Es macht einen Unterschied, ob man sich in die Perspektive von Flüchtlingen hineinversetzt, die in das eigene vertraute Land einreisen, in dem man selbst eine gesicherte Existenz hat, oder ob man die Rolle des Flüchtlings einnimmt und dabei alles Bekannte und Sichere hinter sich lassen muss, so wie es die Autorin in ihrem Gedankenexperiment unternimmt.

Ein namenloser 14-Jähriger berichtet vom Krieg in Europa, der aus dem Untergang der EU und der Machtübernahme durch faschistische Diktaturen resultiert. Abweichend vom dänischen Original und zugeschnitten auf die deutsche Geschichte wird von der Gleichschaltungspolizei erzählt, die Angst und Schrecken verbreitet. Hinzu kommen Hunger, Kälte und die Angst vor Bomben, die die Hauptfigur und seine Familie dazu veranlassen, ins friedliche Ägypten zu fliehen. Das neue Leben ist von Zukunftsangst, Sprachbarrieren, Fremdheit angesichts der unbekannten Kultur, Anfeindungen und der Frage, wohin man eigentlich gehört, geprägt.

Indem der Zuhörer immer wieder mit »du« angesprochen und seine Meinung erfragt wird, findet eine Verknüpfung mit dem eigenen Leben statt. Das Büchlein ist ursprünglich als Pass gestaltet und es finden sich viele abstrakte Bilder darin, die zum Gespräch einladen.

Damit eignet sich die Lektüre als Einstieg zum Lehrplanbereich »Gerechtigkeit und Frieden in der einen Welt«, denn die Schülerinnen und Schüler »beschreiben an einem Beispiel Probleme und Konflikte im Zusammenleben der Menschen in der globalisierten Welt und diskutieren in diesem Zusammenhang Fragen von Frieden und Gerechtigkeit aus christlicher Perspektive«. Am Anfang der Lehrplaneinheit schafft die Lektüre einen motivierenden Zugang zum Thema und fördert die Gesprächsbereitschaft, da die Frage, wie die EU mit Flüchtlingen umgehen soll, nach wie vor widersprüchlich beantwortet wird, und aus der Perspektive vieler »ein aktuelles Beispiel für Verstöße gegen Menschenrechte im weltweiten Kontext, das Auswirkungen auf Europa und das unmittelbare Umfeld hat«, darstellt. In den Nachrichten hören die Schülerinnen und Schüler regelmäßig von diesem Thema.

Die Frage nach einem glücklichen und verantwortungsvollen Zusammenleben steht auch im Zusammenhang mit den Fragen nach Werten, Normen und Gewissen, sodass die Lektüre auch jetzt schon als Abschluss des Lehrplanbereichs »Tun und Lassen« im aktuellen Lehrplan genutzt werden kann. Hier können die Schülerinnen und Schüler erlerntes Wissen reflektieren und auf ein aktuelles Beispiel anwenden.

Insgesamt sollten zwei Doppelstunden eingeplant werden. Der Text ist so kurz, dass man ihn problemlos in sieben kurzen Episoden vorlesen kann. Die Schülerinnen und Schüler schätzen die Ruhe der Unterrichtsform, sind dabei aber affektiv stark angesprochen und mögen zumeist die Möglichkeit des persönlichen Erzählens. Insofern geht es weniger darum, sich Wissen anzueignen, als sich durch den Perspektivwechsel in diese Lebenssituation hineinzuversetzen und für Flüchtlingsschicksale sensibilisiert zu werden. Das jeweils anschließende Gespräch (bei Fragen, die stark in die Lebenswelt der Jugendlichen eingreifen und deshalb Privatsphäre verlangen, auch als Partnerarbeit mit anschließender freiwilliger Möglichkeit zur Äußerung denkbar) kann durch Leitfragen strukturiert werden.

Nach der Lektürearbeit lohnt sich eine Auseinandersetzung mit der Intention der Autorin, die im Nachwort dargelegt wird und einen christlichen Fokus ermöglicht. Aus dem zuvor erarbeiteten Verständnis heraus sollen die Schülerinnen und Schüler nun Handlungsmöglichkeiten entwickeln. Hierzu ist es sinnvoll, verschiedene Ebenen zu unterscheiden, um nicht angesichts der Komplexität des Themas die eigenen Handlungsmöglichkeiten zu unterschätzen. Im Anschluss sollen Aussagen aus der kirchlichen EKD-Stellungnahme »… und ihr habt mich aufgenommen. Zehn Überzeugungen zu Flucht und Integration aus evangelischer Sicht« untersucht und mit den eigenen Überlegungen verglichen werden.

Miriam Reimann

Kompetenzerwartungen und daraus abgeleitete Verlaufsvorschläge

Die Schüler*innen können …

  • »ein aktuelles Beispiel für Verstöße gegen Menschenrechte im weltweiten Kontext, das Auswirkungen auf Europa und das unmittelbare Umfeld hat« beschreiben.
  • die »Zusammenhänge von globaler Vernetzung und wachsender Ungerechtigkeit/ Friedlosigkeit« am Beispiel einer fiktiven Flüchtlingsgeschichte nachvollziehen.
  • die Situation von Flüchtlingen reflektieren und Bezüge zum eigenen Leben herstellen.
  • eigene Perspektiven für das Alltagsverhalten im Umgang mit Flüchtlingen entwickeln.
  • Konzepte zur Lösung in kirchlichen Initiativen oder Stellungnahmen kritisch überprüfen.
 Soz.formMat.

Episode 1 (Seite 5-7): Wenn bei uns Krieg wäre, wohin würdest du gehen?

Die Lehrkraft liest die entsprechende Episode vor und regt jeweils ein Gespräch (wenn nötig über die Impulsfragen) mit den SuS an.

  • Wenn bei uns Krieg wäre, wohin würden Sie gehen? Berücksichtigen Sie Bedingungen der Flucht wie Fluchtwege, mögliche Helfer usw.
  • Auf Seite 6 heißt es, »im Krieg [sei] Nationalität eine Definition von Freund und Feind.« Erklären Sie diesen Satz und seine Konsequenzen. Vergleichen Sie das Ergebnis mit Ihrem bisherigen Verständnis von einem Feind.

Vertiefung: Bildanalyse »Stadtaufnahme« (Doppelseite 8/9)

Beschreiben und deuten Sie das Bild mit Blick auf das Gelesene. Berücksichtigen Sie die Art der Darstellung sowie die Verbindung von Bildelementen.

LV, Plenum

M1 (Lektüre)

 

 

 

 

M2 (Präsentation)

Episode 2 (Seite 10-11): Gleichschaltungspolizei

  • Was verbinden Sie mit dem Begriff »Gleichschaltungspolizei«? Finden Sie eine Begründung, warum für die deutsche Ausgabe dieses Wort gewählt wurde.
  • Zeigen Sie Konsequenzen von Folter für den Einzelnen und für eine ganze Gesellschaft auf.
  • Überlegen Sie, wie Sie in einem besetzten und diktatorisch regierten Land handeln würden und aus welchen Gründen. Was wären absehbare Folgen dieses Verhaltens?
Vertiefung: Bildanalyse »Passstempel« (Doppelseite 22/23)

LV, Plenum

M1 (Lektüre)

 

 

 

M2 (Präsentation)

Episode 3 (Seite 12-13): Ablehnung in der arabischen Welt

Legen Sie (vergleichend) dar, welchen Vorurteilen Flüchtlinge in Deutschland ausgesetzt sind.

LV, Plenum

M1 (Lektüre)

 

Episode 4 (Seite 16-21): Sachen packen

Stellen Sie sich vor, Sie müssten ins Ausland flüchten und könnten nur eine Tasche/einen Rucksack mitnehmen. Was würden Sie einpacken?

LV, Plenum

M1 (Lektüre)

 

Episode 5 (Seite 24-35): Asylverfahren und Lagerleben

Stellen Sie die Probleme zusammen, mit denen der Ich-Erzähler in der Flüchtlingsunterkunft und in den Jahren nach der Genehmigung des Asylantrages zu kämpfen hat.

Vertiefung: Bildanalyse »Zwischenfazit« (Doppelseite 36/37)

Beschreiben Sie das Bild und deuten Sie seine Bildelemente mit Blick auf die bisherige Geschichte.

LV, Plenum

M1 (Lektüre)

 

M2 (Präsentation)

 

Episode 6 (Seite 38-47): Ende des Krieges

Die SuS verfassen in Partnerarbeit Dialoge zwischen Figuren der Lektüre, um sich – im Gegensatz zum sachlichen Stil des Textes – mit den Gefühlen und Gedanken der beteiligten Personen auseinanderzusetzen. Dies geschieht in drei Gruppen, um die Bandbreite der Themen abzudecken und durch die Abwechslung das Interesse beim Zuhören hochzuhalten.   

Erarbeitung:

Verfassen Sie mit einem Mitschüler bzw. einer Mitschülerin einen Dialog:

  • Gruppe 1: … zwischen der Schwester des Protagonisten und dem Ägypter, der ihr nach Deutschland nachreist.
  • Gruppe 2: … zwischen dem Protagonisten und Karina, als er sie in Deutschland besucht.
  • Gruppe 3: … zwischen dem Protagonisten und einem seiner ägyptischen Kumpel, in dem er von seinen Beweggründen für die Hochzeit mit Karina erzählt.

Rückmeldung:

Bewerten Sie die Dialoge. Überlegen Sie, ob das Gespräch inhaltlich überzeugend war, ob evtl. neue Handlungsmöglichkeiten angesprochen wurden und inwiefern kulturelle Unterschiede den Gesprächsverlauf beeinflussten.

LV, PA

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Plenum

M1 (Lektüre)

 

 

 

 

M2 (Präsentation)

Episode 7 (Seite 48-49): Schluss

  • Die Geschichte endet an dieser Stelle mit folgendem Bild. Deuten Sie den Schluss und diskutieren Sie den Begriff »Heimat«.
Vertiefung: Bildanalyse Buchende (Seite 50-52) 

LV, Plenum

M1 (Lektüre)

 

M2 (Präsentation)

Analyse des Buchumschlags der Originalfassung: »Reisepass«

Deuten und bewerten Sie dieses Design!
Plenum

M1 (Lektüre) M2 (Präsentation)

Erarbeitung:

Als Anlass für ihr Buch »Krieg« nennt Janne Teller im Nachwort die Flüchtlingsdebatte in Dänemark, die »zwei unserer in Europa höchstgepriesenen Grundsätze der philosophischen und sogar christlichen Ethik zunächst zu vergessen schien: Alle Menschen wurden gleich geschaffen und Behandle alle Menschen so, wie du selbst von ihnen behandelt werden willst.«

Vertiefung:

Inwiefern handelt es sich dabei um »christliche Ethik«?

Die SuS erarbeiten mithilfe des AB (M3) in Gruppen Perspektiven für eine christliche Flüchtlingspolitik und präsentieren ihre Ergebnisse. Abhängig vom Leistungsniveau der Klasse können Zwischenpräsentationen sinnvoll sein.

Mögliche Lösung zu Aufgabe 2:

Probleme und Gefahren, z. B. …

unsichere Fluchtwege, Abschiebungen in Konfliktgebiete, organisatorische Probleme bei der Aufnahme, hohe Kosten, Integrationsprobleme, Umsetzung der Nächstenliebe in der Politik, Gewalt und Rechtlosigkeit in anderen Ländern, Leben der Ersten auf Kosten der Dritten Welt, Geschichtsvergessenheit bezüglich der Erfolge der europäischen Einigung, Missbrauch von Religion und Religionsfreiheit, Radikalisierung des Denkens und Handelns, Polarisierung der politischen und gesellschaftlichen Debatte

Forderungen …

… und ihre (christliche) Begründung

Einhaltung der Menschenrechte, inklusive des Rechts auf Asyl mit sicheren Fluchtwegen und Einwanderungsrecht

Gottesebenbildlichkeit und Menschenwürde

Hilfe für schutzsuchende Menschen, unabhängig von Grenzen

Nächstenliebe

rechtsstaatliche Abwägung von Freiheit und Sicherheit

Förderung von Rechtsstaatlichkeit, Demokratie, sozialer Gerechtigkeit

Verhältnismäßigkeit von Freiheit und Sicherheit für eine offene Gesellschaft

Förderung von globaler Gerechtigkeit

Gott als Richter (Ps 9,9) und Gerechtigkeit und Frieden als Leitbilder

Europäische Einigung zum Umgang mit Flüchtlingen, Offenheit für den anderen

europäische Solidarität und Wertegemeinschaft

Europäische Menschenrechtskonvention

Dialog zwischen Religionen und Konfessionen, Toleranz

Religionsfreiheit

respektvolle Streitkultur

Verantwortung für das Gemeinwohl

LV

Plenum

M2 (Präsentation)

Reflexion:

Janne Teller formuliert am Ende ihres Nachwortes folgendermaßen: »Ich hoffe, Verständnis ist das, wonach wir alle, oder wenigsten die meisten von uns in Europa, streben. […] Dafür sind wir verantwortlich.« Bewerten Sie das Buch! Wird es seinem Anspruch gerecht?

LV, Plenum

M2 (Präsentation)

Wir bedanken uns herzlich bei allen Rechteinhabern für die Genehmigungen, ihr Material in diesen Entwurf mit aufzunehmen. Trotz aller Bemühungen ist es uns bei den Recherchen nicht in allen Fällen gelungen, die Urheber ausfindig zu machen.  Sollten Fremdrechte bestehen, bitten wir die Rechteinhaber, uns zu benachrichtigen.

 

Das Konzept als PDF

Alle Materialien als ZIP


Lehrplanbezug

Ev 10.5 »Tun und Lassen«

ER 10.5 »Gerechtigkeit und Frieden in der einen Welt«

  

Materialindex

M1 | Lektüre (Lehrerexemplar)

Janne Teller: »Krieg. Stell dir vor, er wäre hier«, München 2011 (57 Seiten in Großdruck mit Bildern inklusive Nachwort, Preis: ca. 5€)

M2 | Präsentation (auch als PDF verfügbar)

Bilder und Zitate zu J. Tellers Werk »Krieg. Stell dir vor, er wäre hier«;

Bildquellen: Folie 10/11: https://www.dtv.de/autor/janne-teller-14341/ mit freundlicher Genehmigung des Verlages; Folien 2/3/5/8/9: http://hebiinu.com/projects/war1/ mit freundlicher Genehmigung des Urhebers

M3 | Arbeitsblatt

EKD-Text: »… und ihr habt mich aufgenommen.« Zehn Überzeugungen zu Flucht und Integration aus evangelischer Sicht (2017) (in Auszügen); Quelle: https://www.ekd.de/Zehn-Ueberzeugungen-Flucht-und-Integration-14970.htm, mit freundlicher Genehmigung der Autoren

  

Schlüsselbegriffe

  • Friede
  • Gerechtigkeit
  • Flüchtlingspolitik
  • EKD
  • christliche Ethik 
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