Inspirationen

Spirituelle Impulse und Worte zum Nachdenken, geschrieben und gestaltet von Mitarbeitenden des RPZ, jeden Monat neu.

Eine alte Geschichte, neu gelesen

Es waren einmal zwei Menschen, Kaala und Myrthe, nein – nicht nur zwei Menschen, sie waren Schwestern – noch mehr: Sie waren sogar Zwillinge. Von denselben Eltern erzogen, im selben Haus aufgewachsen und unter demselben Stern geboren. Sie wurden erwachsen – schöne und kräftige Menschen.

Aber trotzdem waren die beiden sehr verschieden. Myrthe liebte die Tiere und wurde eine Tierzüchterin. Kaala dagegen bebaute den Acker, pflanze, säte und erntete die Früchte des Feldes. Beiden ging es gut – und trotzdem fragte sich Kaala immer wieder, ob sie gut genug sei. "Hat es Myrthe nicht besser getroffen? Mache ich meine Arbeit gut genug? Lieben unsere Eltern mich genauso wie meine Schwester?“

Und so kam es, dass die beiden Menschen eines Tages Gott ein Opfer brachten. Aber in Kaala wuchs die Gewissheit: "Myrthes Opfer ist besser, sogar Gott schaut auf sie wohlwollender als auf mich. Ich möchte im Boden versinken.“ Und in ihrem Herzen regte sich Scham und Hilflosigkeit, sie schlug die Hände vors Gesicht und senkte ihren Blick. Sie lief weg von dem Ort des Opfers und verbarg sich hinter einer dichten Hecke. Langsam wandelte sich die Beschämung in Ärger und Wut, sie ballte die Fäuste. Da war ihr, als ob sie eine innere Stimme fragen würde: "Warum stehst du nicht aufrecht und blickst nach oben? Was nimmt dir den Atem? Sei achtsam, die Sünde lauert vor der Tür! Beherrsche dich und lasse sie nicht herein.“ Und sie wusste, dass Gott zu ihr gesprochen hatte.

Da wandte sich Kaala zu ihrer Zwillingsschwester. "Lass uns ein Stück zusammen gehen und reden.“ Und sie kamen auf Kaalas Felder, und dort erhob sie sich, stand aufrecht da, griff nach einem Stein und schlug auf Myrthe ein, bis sie tot am Boden lag.

Kaala eilte fort, so schnell sie konnte. Aber da war wieder die Stimme in ihr – die Stimme Gottes. "Wo ist deine Schwester?“ Kaala erwiderte: "Soll ich ihre Hüterin sein?“, und sie wollte fortfahren und alles erklären, ihre Scham, ihre Hilflosigkeit und, und, und

Aber Gott sprach: "Was hast du getan? Die Stimme des Blutes deiner Schwester schreit zu mir von der Erde. Warum hast du der Sünde das Tor geöffnet? Du hattest die Wahl. Aber nun musst du fort und flüchtig sein auf der Erde.“ Kaala sank zusammen. "Meine Schuld ist zu schwer, als dass ich sie tragen könnte. Und wenn ich schutzlos und ohne Heimat bin, wird man mich totschlagen.“

Aber Gott sprach zu ihr: "Nein, die Schuld ist schwer, aber du musst sie tragen. Ich eröffne dir einen Weg in einem anderen Land, aber jenseits von Eden. Auch dort bist du immer unter meinem Schutz.“ Gott machte ein Zeichen an Kaala, damit alle sehen konnten, dass sie unter seinem Schutz stand. Er blickte ihr noch lange nach, nachdenklich und voll Sorge. Aber auch voll Hoffnung, dass sie in Zukunft lernt, über die Sünde zu herrschen – so wie er es ihr zugedacht hatte.

Eine Geschichte, ganz am Beginn der Bibel, die uns Menschen die Kraft zutraut, über Anfechtungen und Versuchungen zu herrschen. Die uns zutraut mit Gefühlen von Benachteiligung, Beschämung und Wut umzugehen, ohne uns gegenseitig tot zu schlagen. Aber trotzdem ist die Geschichte so realistisch, dass sie davon erzählt, dass die Gefahr stets vor der Tür lauert und dass Menschen zu unvorstellbarer Grausamkeit fähig sind.

Eine Geschichte, die von einem Gott erzählt, der uns in die Verantwortung für unser Handeln ruft, der aber gleichzeitig Wege eröffnet, wenn Menschen schuldig werden, und uns auch dann nicht allein lässt.

Sie kennen diese Geschichte als den Brudermord von Kain und Abel – aber wie fühlt sie sich an, wenn die Protagonisten Frauennamen tragen?

Ulrich Jung
Referat Förderschulen

Sehr lesenswert ist die Interpretation zu dem Text bei Claas Huizing (2022): Lebenslehre. Eine Theologie für das 21. Jahrhundert, München, S. 111-118.

Mai 2023

Der Traum vom Fliegen

Sich einfach in die Lüfte heben, sich vom Wind tragen lassen, die Welt von oben sehen und über den Wolken die Freiheit spüren. Das sind uralte Menschheitsträume. Hinter diesem Traum steht vielleicht neben dem wunderbaren Gefühl der Schwerelosigkeit auch die Hoffnung, dass ich hoch in den Lüften all das hinter mir lassen kann, was auf dem Boden beschwerlich und belastend ist.

Heute erscheint die Fliegerei so alltäglich, dass ich manchmal vergesse, wie kurz dies den Menschen überhaupt erst möglich ist. Und es brauchte den Mut und den Erfindungsgeist neugieriger Menschen, damit wir heute abheben können.

Einer der großen Pioniere dieses Traums ist Otto Lilienthal. Am 23. Mai 1848, also vor genau 175 Jahren, wurde er in Anklam geboren. Mit seinem Namen ist die Fliegerei eng verbunden. Und seine Fluggeräte sind die Vorläufer unserer Flugzeuge. Er war ein präziser Beobachter der Vogelwelt und lebte den Traum, es diesen gleich zu tun und sich in die Lüfte zu heben. Dass er dabei immer wieder Bauchlandungen im wahrsten Sinn des Wortes erlebte, gehörte zu seinem Tüfteln. Und dass er am Ende nach einem Flugunfall mit erst 48 Jahren ums Leben kam, ist ein tragischer Moment dieses Traumes.

Warum ich an Otto Lilienthal denke? Vielleicht liegt es daran, dass gerade der Mai der Monat ist, der so viel an Aufbruch und Neuanfang spüren lässt. Es braucht Mut, sich auf neue Wege zu begeben. Es braucht ein anspruchsvolles Ziel, damit dies dann auch gelingen kann, manchmal ganz anders, als am Anfang erwartet. Und am Beginn steht, wie so oft, ein Traum, den Lilienthal am Ende seines wegweisenden Buches zum Vogelflug beschreibt:

"An jeden, dem es eingeboren,
Dass sein Gefühl hinauf und vorwärts dringt,
Wenn über uns, im blauen Raum verloren,
Ihr schmetternd Lied die Lerche singt,
Wenn über schroffen Fichtenhöhen
Der Adler ausgebreitet schwebt,
und über Flächen, über Seen
Der Kranich nach der Heimat strebt.!

In diesem Sinne: Einen Mai mit vielen Träumen, Aufbrüchen und neuen, spannenden Erfahrungen.

Hans Burkhardt
Stellvertretender Direktor
Regionalstelle Unterfranken

Bild 1) Foto: A. Regis, Public domain, via Wikimedia Commons
Bild 2) Foto: Neuhaus/Fülleborn, Public domain, via Wikimedia Commons

Zitat: Lilienthal, Otto: Der Vogelflug als Grundlage der Fliegekunst. Ein Beitrag zur Systematik der Flugtechnik. Berlin, 1889. S. 184 

April 2023

"O Welt, sieh hier: Dein Leben ..."

Fangen wir behutsam an, und keine Sorge: Wir enden mit der österlichen Freudenzeit.
Aber dazwischen wird’s leiden-schaftlich, denn es geht um Passion.

Frühlingsgefühle contra Passionsfrömmigkeit

Was meinen Sie?
Ist Passionsfrömmigkeit "out"?

Die wenigstens trauen sich das Thema Passion im Unterricht zu.

Schon das ungünstige Timing: Im Frühling!
Alle Welt sehnt sich nach Licht, Sonne, Wärme, Eis und einem Latte Macchiato in der Fußgängerzone. Wer mag da "Die Passionszeit" unterrichten?

Positionierung an Triggerpunkten

Schwer vermittelbar, dieses Nachdenken über einen Jesus und seinen Weg ans Kreuz.
Schuld, Sünde, Buße, Reue, Scheitern, Versagen, Verrat und Schmerz, Qual, Sterben – bitte nein! Nicht so geballt, nicht derart plakativ, plastisch und unausweichlich.

Spätestens bei den Passionsliedern sperrt sich alles.
Schülerinnen und Schülern daran Teilhabe ermöglichen? Wozu?

Wer würde eine vertiefte Auseinandersetzung wagen mit den Beweggründen eines Paul Gerhardts?
Der schrieb 1647 das Lied: "O Welt, sieh hier, dein Leben" – und darin (EG 84,3) die Strophe:

"Ich, ich und meine Sünden,
die sich wie Körnlein finden
des Sandes an dem Meer,
die haben dir erreget das Elend,
das dich quälet und das betrübte Marter Heer."

Das triggert.
Da werden Befindlichkeiten und Prinzipien berührt, die man heraushalten möchte aus dem Religionsunterricht.

Ist es peinlich, dass die Christenheit Jahrhunderte so intensiv mit diesen Bildern lebte? Geht´s darum heutzutage schnell Richtung Ostern wie auf eine sonnige Insel des Schönen, des Heils …

Doch der christliche Glaube ist kein Heile-Welt-, sondern eine welt-heilende Botschaft
Und was muss geheilt werden? Wunden!

Wo, wenn nicht im Religionsunterricht, ist in der Schule Raum, über "Wunden" zu reden, über das, was weh tut, brennt, woran es krankt?

Provokation mit Passion

Wenn eine Klasse befähigt wird, Paul Gerhardt auf heute für sich zu übertragen, dann kann das so klingen:

"Wir, wir und unser Leben,
das mit den Klimasünden
die ganze Welt bedroht,
die haben es erreget,
das Elend, das nun quälet,
wenn die Natur verfällt in Not!"

Seit Jahren schon versuchen junge Menschen, die Welt aufmerksam zu machen.
Sie provozieren leidenschaftlich.

Sie kleben sich fest und erregen Ärgernis und Unverständnis, um Augen zu öffnen und Verständnis zu wecken:
Aktionen wie “Fridays for future” sind ein modernes "O Welt, sieh hin!"

Seht hin, all ihr Satten, Sicheren, Euch-selbst-Rechtfertigenden, Selbstzufriedenen, Unreflektierten, Nach-uns-die-Sintflut-Konsumierenden, ihr Helikopter-Eltern, die nur fürs eigene Kind das Beste wollen und sonst neidisch und gnadenlos die Ellenbogen ausfahren …

Wir wollen, dass ihr Euch schuldig fühlt, damit ihr umkehrt: Wacht auf!
Bekommt Angst vor den Konsequenzen Eures Tuns, all Eurer Sünden und Eures völlig fehlgeleiteten Daseins: ja, zahllos sind sie, wie Sandkörner am Meer.

Die Passion passt besser zu dieser Generation als Häschen, Ostereier und Blumenschmuck.
Passionsfrömmigkeit kann ebenso in die Gegenwart übersetzt werden wie all unsere anderen religiösen Inhalte:

Die Bilder vom Karfreitag: Wie die Sonne ihren Schein verliert, die Erde bebt – das sind Imaginationen fürs Donnergrollen unserer Zeiten, die sich nicht frühlingshaft anfühlen, sondern überschattet von einer neuen, überaus irdischen, überaus Jesus-losen, aber weltumspannenden Passion, die der kommenden Generation überlassen wird, die sich nicht ohne Grund als "Letzte" empfindet:

Religionsunterricht contra Zeitenwende

"Zeitenwende". Ist womöglich bald vorbei, was die Boomer und Alten noch an Frieden und Freiheit genießen konnten?

Gab es schon einmal eine Erwachsenengeneration, die nicht mehr davon ausging, dass es die Kommenden einmal besser haben sollten und nicht mehr bereit war, sich dafür aufzuopfern (oder wenigstens empfindlich einzuschränken)?
Die Rede von der "Zeitenwende" ist der nachfolgenden Generation gegenüber zynisch und unfair.

Zu den Sorgen um Natur und Lebensgrundlagen kommen geballt die Sorgen angesichts von Kriegstreiberei und einer Gefährdung von Frieden und Recht…

Wie sollen die Kinder und Jugendlichen mit den Herausforderungen, die sie sich nicht selbst eingebrockt haben, umgehen, wenn wir ihnen nicht einmal mehr die nötigen Ressourcen und die nötige Bildung an die Hand geben, weil Lehrkräfte fehlen und Niveaus gesenkt werden, weil´s Unterrichten schwer geworden ist?

Für den Christlichen Glauben steht es dem Menschen (Gott sei Dank!) nicht zu, Zeitenwenden zu initiieren.

Für die Christenheit ist die Zeitenwende ein für allemal bereits geschehen: In Jesus Christus, und darum schreiben wir mit gutem Grund: Das Jahr des Herrn, Anno Domini 2023.
Er ist A und O, Anfang und Ende, hält in Händen, was wir nicht fassen können.

Das hat enorme emanzipatorische Kraft und löst aus dem normativen Faktenschaffens des Zeitgeschehens:

Die christliche Botschaft ist nie der Alternativlosigkeit und dem Scheitern und den Verlusten ausgeliefert, sondern tut Perspektiven auf, grade, weil sie sich dem stellt, was schmerzt und brennt! Im Religionsunterricht bilden wir diese Weltsicht.

Passion im Unterricht für die kommende Generation

Da sind Bilder, die öffnen, Geschichten, die Sprache bieten.

  • Ein Christus, ausgeliefert seinen Feinden, ist nicht nur ein Sinnbild für die Ohnmacht aller Leidenden.
  • Sein konkretes Schicksal nachempfinden, rüttelt auf im Hier und Jetzt.  Die Kinder beginnen zu reden über das, was sie beschäftigt: Die namenlosen Zahlen von Menschen in Flucht und Vertreibung, in Krieg und Qualen.
  • Ein Gekreuzigter der Geschichte hat einen Namen, eine Familie und Freunde – das macht sensibel dafür, dass jedes Opfer ein echter Mensch ist, wert, genauso ernst genommen zu werden, wie dieser Mann aus Nazareth.

Neu übersetzt in unsere Zeit und in unser Unterrichten heißt das:

Der Passion im Unterricht begegnen, das ist eine überaus subjekt-stärkende, handlungs-aktivierende, gewissens-bildende Sensibilitätsübung:

  • Kann ich mich einfühlen in fremdes Leid, so sehr, dass ich mich damit solidarisiere?
  • Wofür bin ich bereit, das Leben eines anderen zu verraten? Wie viele Silberlinge ist´s mir wert?
  • Was lässt mich einknicken, wenn ich eigentlich bekennen möchte und müsste?

Die Passion führt zeitlos zu Positionierung: Wo stehe ich?

  • Auf der Seite der Schläger?
  • Auf der Seite derer, die wegschauen?
  • Auf der Seite der Spötter? Bei den Schaulustigen?
  • Bei denen, die sich aufregen und empören, aber sonst nichts tun?
  • Oder bin ich solidarisch mit denen, die weinen?
  • Den Ohnmächtigen, deren Liebe nichts ausrichten kann gegen die Bosheit und Gewalt und Übermacht der anderen, die töten wollen, was von Frieden, Barmherzigkeit, Güte und Versöhnung spricht?

Wenn wir im Unterricht und in den Gemeinden die Passionszeit begehen, sind wir mittendrin in dem, was fürs Leben bedeutsam ist.
Und damit ist dann Zeit für Ostern.

Pfarrerin Katharina Kemnitzer

 

März 2023

Hab' ein Herz! - Variationen zu Jesaja 58,6-12

Eine sagt:
Ich bin ständig hungrig.
Wenn ich hungrig bin, kann ich nicht lernen.
Wenn mein Magen knurrt, kann ich keinen Sport machen.
Wenn ich essen will und es nichts gibt, werde ich traurig oder wütend.
Immer bin ich hungrig. Das ist doch kein Leben.

Einer sagt:
Andere zeigen mit dem Finger auf mich. 
Sie machen sich über mich lustig. 
Sie verbreiten Lügen über mich.
Das tut so weh.
Es verletzt mich. Ich fühle mich hundeelend.
Dass sie mich so behandeln, ist doch nicht fair.

Eine sagt:
Unser Dorf ist zerstört. Alles liegt in Trümmern.
Unser Haus ist kaputt.
Wir haben kein Dach mehr über dem Kopf, keine Küche, kein Zimmer, nichts mehr.
Ich habe kein Zuhause mehr.
So können wir nicht leben.

Gott sagt:
Gib denen zu essen, die Hunger haben.
Hilf denen, die eine schwere Last tragen müssen.
Gib denen ein Zuhause, die heimatlos sind.
Unterdrücke niemanden.
Mach niemanden nieder.
Hab‘ ein Herz!
Dann bist du wie Licht in der Dunkelheit.
Dann bist du wie eine Wasserquelle in der Wüste.    

Text: Gerda Gertz, RPZ Heilsbronn, Foto: Oleg Astakhov

Diese verfremdete und aktualisierte Version von Versen aus Jesaja 58, 6-12 wurde für die Mittelschule geschrieben. Sie dient der Annäherung an den Bibeltext und soll den Einstieg in die Auseinandersetzung mit dem Bibeltext erleichtern.
Den Unterrichtsbaustein für die 9. Jahrgangsstufe, Lernbereich 9.3 "Verantwortung übernehmen – für Gerechtigkeit und Frieden" finden Sie hier.

 

Februar 2023

Ich sehe was, was du nicht siehst, und das ist …
Dieses beliebte Spiel habe ich x-mal mit Kindern, Schüler*innen, Konfirmand*innen, … gespielt. Die Freude, Dinge zu erraten, ist auf beiden Seiten groß – aber im Laufe des Spiels wird es immer diffiziler, zu erraten, was gemeint ist. Ich muss genau schauen, Details wahrnehmen und entdecke Dinge, an denen ich sonst achtlos vorüber gegangen wäre. Und ganz besonders schön ist es, wenn jemand mich sieht, etwas an mir entdeckt, was nicht gleich offensichtlich ist.

Gesehen werden als Sklavin, das hat Hagar in der Wüste auf der Flucht vor ihrer Herrin Sarah nicht erwartet. Gewiss, sie war nicht ganz unschuldig, hatte sich aufgelehnt, Sarah gedemütigt, weil sie schwanger war und Sarah nicht. Sie hatte sich Rechte herausgenommen, die ihr nicht zustanden. Und dann ist es gekippt: Sarah hat Hagar in ihre Schranken gewiesen und sie gedemütigt – wie du mir, so ich dir. Zwei starke Frauen, die nicht nachgeben wollten. Hagar war als Sklavin in der schwächeren Position und hat die Flucht ergriffen. Die Unsicherheit der Wüste scheint ihr besser zu sein als unter Sarah zu arbeiten.
An einer Wasserquelle macht sie Rast, ich stelle mir vor, wie sie erschöpft vom Weg dasitzt. Sie weiß nicht, wohin sie gehen soll und wie sie weiterleben wird. Da sieht sie der Engel Gottes. Dieser Gottesbote spricht sie an, er kennt ihren Namen und fragt: Hagar, Sarahs Magd, wo kommst du her? Wo willst du hin? Diese Fragen können einfach und sehr tiefgreifend sein. Hagar antwortet, dass sie von Sarah geflohen ist. Und der Engel schickt sie zurück, sogar mit dem Auftrag, sich unter Sarahs Hand zu demütigen. Eine echte Zumutung – oder?
Aber dann kommt ein Versprechen dazu: Gott will aus deinen Nachkommen ein Volk machen. Dein Sohn soll Ismael heißen – Gott hört. Gott hat dein Elend gesehen. Da sagt Hagar: Du bist ein Gott, der mich sieht. (Gen. 16,13) Dieses Gesehen-werden ist für Hagar der Schlüssel: Sie fühlt sich gesehen und damit gestärkt und fasst Mut, umzukehren. Sie geht zurück zu Sarah und Abraham, bekommt ihr Kind und nennt den Sohn Ismael. Auf seine Nachkommen, die Ismaeliten, berufen sich bis heute die Muslime. In den ersten Kapiteln der Bibel wird die Auseinandersetzung zwischen Menschen und Völkern wie in einem Brennglas auf die Auseinandersetzung zwischen zwei Frauen erzählt. Es geht um Existenzen und Nachkommen, aber auch und vor allem um das Gesehen werden. Wie oft erleben wir, dass Menschen sich nicht gesehen fühlen und aggressiv werden, Streitigkeiten eskalieren. Hagar geht aus so einer Situation in die Wüste und erlebt im Gehen und Rasten: Gott sieht mich. Diese Erfahrung wünsche ich uns für das Jahr 2023.

Gerlinde Tröbs
(Referate Ganztagsschule / Fortbildung in den ersten Dienstjahren)

Bild: Verlag am Birnbach - Motiv von Stefanie Bahlinger, Mössingen

Januar 2023

Navigationsgerät

Bei meinen vielen Fahrten durch Ostbayern, auf dem Weg zu Schulbesuchen, brauche ich gelegentlich ein Navi. Auf der Karte sehe ich den ungefähren Weg. Die Namen mancher Ortschaften habe ich aber noch nie gehört. Den Weg zur Schule dort kenne ich erst recht nicht. Also gebe ich die Adresse ins Navi ein und fahre los. Manche Ortsverbindungsstraße kommt mir seltsam vor, mancher Zufahrtsweg zu Schulen erst recht. Aber ich verlasse mich auf das Gerät und tatsächlich: Da ist die Schule. Angekommen. Auch, wenn ich den Weg dorthin nicht gekannt habe.

Das erinnert mich an mein Leben, meinen Lebensweg. Wir stehen an der Schwelle zum neuen Jahr und kennen den Weg nicht, den es uns bringt. Klar, ungefähr schon: Die Jahreszeiten, die Feste im Jahreslauf, Daten der Familie.
Aber den genauen Weg, den die kommenden Monate bringen werden, kenne ich nicht.
Da ist Gottes Wort mein Navi: "HERR, Dein Wort ist meines Fußes Leuchte und ein Licht auf meinem Wege." Heißt es im Psalm 109, 105.
Wo auch immer Dinge zu entscheiden sind, Wege an Abzweigungen zu wählen sind, überlege ich: Was ist Gottes Wille? Was würde Jesus sagen oder tun?
Das hat mir schon oft in meinem Leben geholfen. Darum vertraue ich auch im neuen Jahr auf Gottes Führung und hoffe, dass ich immer ans rechte Ziel komme.

Herzlichst Ihr
Uwe Markert
Regionalstelle Niederbayern/Oberpfalz

Dezember 2022

Der Weihnachtswolf

Liebe Leser*innen,

ich möchte Ihnen gegen allen Unfrieden in der Welt eine friedliche Weihnachtsgeschichte erzählen:

Es war in einem Ort weit im Osten, und eines war in diesem Jahr merkwürdig: Die Wölfe, von denen es damals noch viele gab, die waren in diesem Jahr schon viel früher aus den Wäldern gekommen - und es waren auch viel mehr.
In der Heiligen Nacht war eine Menge Neuschnee gefallen. Deshalb brach der Knecht Georg schon gegen zehn Uhr auf, um zur Kirche zu gehen. Zwar hatte er nur eine gute Stunde Wegs, aber er wollte noch einen Umweg machen, am Hof der Knabigs vorbei. Er war nämlich mit dem Knecht befreundet und hoffte, dass der mit ihm ging. Als er dann dort war, lachte der aber nur: "Wir haben Pferde und Schlitten genug. Für uns Leute vom Hof ist Platz - warum sollte ich dann den weiten Weg laufen?“ Auch die anderen lachten über den Georg.
Also ging er allein weiter, traurig und enttäuscht, und nahm die Abkürzung durch den Wald. "Kannst ja eine Rast einlegen, Georg“, sagte er bei sich, und zog sich die Mütze tiefer ins Gesicht. "Bis zum Gottesdienst ist noch gut Zeit. Musst nur gut aufpassen, dass du nicht einschläfst! Bei solcher Kälte ist schon mancher eingeschlafen und nicht mehr aufgewacht.“ Gar nicht mehr weit vom Dorf weg kroch er unter eine große Fichte. Darunter war ein schneefreies Plätzchen. Dort setzte er sich, schlug den Mantelkragen hoch und lehnte sich gegen den Stamm. Traurig dachte er an die anderen, die ihn so ausgelacht hatten. Das klang ihm noch in den Ohren, dieses Lachen. Aber eh er sich’s versah, war er doch eingenickt. Er wäre sicher erfroren, wenn da nicht ... wenn da nicht Folgendes passiert wäre:

Georg schreckte plötzlich auf. Erst dachte er, er sehe ein Gespenst und wurde vor Entsetzen ganz steif. Aber dann erkannte er, dass dicht vor ihm eine Wölfin stand. Die blies ihm ihren warmen Atem ins Gesicht und tappte mit ihrer Pfote auf seinen Stiefel. Die gelben Augen waren keinen Meter vor ihm. Er sah den großen, rostroten Fleck im Nacken der Wölfin. Sie war angeschossen worden, ihr Fell war verklebt und verkrustet. In ihrer Schnauze trug sie - einen kleinen Wolf. Kaum ein paar Tage alt. Weiß der Teufel, warum das Tier so mitten im Winter ein Junges zur Welt gebracht hatte. Sie bettete das Junge ganz vorsichtig in Georgs Schoß, starrte ihn noch ein paar Sekunden an, winselte leise und drückte sich davon.

Allmählich kam Georg wieder zu sich. Erst langsam wurde ihm klar, was da passiert war. Das Wolfsjunge kuschelte sich in seinen Mantel und war ganz zutraulich. Und Georg wusste, dass ihm die Wölfin das Leben gerettet hatte. Er wäre ohne sie erfroren. Nun hatte sie ihm ihr Junges anvertraut. Was blieb dem Georg da anderes übrig - er barg den kleinen Wolf an seiner Brust und rappelte sich auf. Von der Kirche her hörte er die Glocken läuten. Eilig machte er sich auf den Weg. Im Schnee sah er noch die Blutspur der Wölfin, wie eine Kette aus roten Perlen.

Er kam gerade noch rechtzeitig in die Kirche. Aber hinten, da wo er sonst immer seinen Platz hatte, da war alles gestopft voller Männer. Sie schoben ihn immer weiter nach vorn, und so fand er sich schließlich direkt vor der Krippe wieder.

Der Weihnachtsgottesdienst dort in dem Dorf war immer sehr feierlich. Der Pfarrer zog mit den Helfern ein und trug das Jesuskind bis nach vorne, wo die Krippe stand. Er hielt es hoch über seinen Kopf, damit es alle sehen konnten, und sehr behutsam legte er es in die Krippe. Denn erstens war das ja der Gottessohn und zweitens war es aus Gips und könnte leicht zerbrechen. Und wenn er sich dann niederkniete und das Kind in die Krippe legte, sang die Gemeinde.

In dieser Nacht nun, als der Pfarrer das Kind gerade betten wollte, hörte er auf einmal ein sonderbares, leises Jaulen. Er blickte sich um und schaute verärgert. Da hörte man wieder ein kurzes Jaulen, es kam direkt aus Georgs Richtung. Der Pfarrer schaute ihn ganz streng an. In diesem Augenblick streckte der Wolf seinen Kopf aus dem Mantel hervor und leckte dem Georg den Bart. Georg bekam einen großen Schreck. "Jetzt werden sie mich mit Schimpf und Schande aus der Kirche jagen“, dachte er. Aber der Pfarrer dachte in dieser Nacht nicht an sowas. Er legte das Kind in die Krippe, raffte etwas von dem weichen Moos auf dem Boden des Krippenstalles zusammen und flüsterte dem Georg zu: „Gib her das Tierchen!“. Georg gehorchte und der Pfarrer legte den Wolf zu den Lämmern, ganz dicht vor Ochs und Esel. Rundherum brannten die Kerzen und machten’s schön warm im Krippenstall. Dem jungen Wolf gefiel es, er rollte sich zusammen und blinzelte in die Flammen.

Jetzt erst wurde gesungen. Der Kopf des Wolfes war hochgeruckt, als die Orgel und der Gesang anfingen. Aber dann schien es ihm zu gefallen, ja, es klang ähnlich wie fernes Wolfsheulen. Wieder rollte er sich zusammen, fester jetzt noch als zuvor, und schien in Schlaf zu fallen.

Georg blickte aufmerksam zum Pfarrer. Aber was machte der? Er legte seine schön beschriebenen und vorbereiteten Blätter beiseite. Dann blickte er auf den kleinen Wolf, der friedlich neben den Schafen an der Krippe lag und erzählte von dem großen Frieden, der im Paradies geherrscht haben muss. Da hätte kein Wolf ein Lamm gefressen, sondern im Gegenteil mit ihm gespielt. Ja, und dann in der Nacht, in der Jesus im Stall in Bethlehem auf die Welt gekommen sei, auch damals hätten die Hirten ganz ruhig von ihren Herden weggehen können, denn in dieser Nacht, da hätte kein Wolf - der Teufel hätte ihn beim Schwanz gepackt und in die Hölle gezogen - also in dieser Nacht, da hätte kein Wolf ein Schaf gepackt. Georg hörte gespannt zu.

Aber das alles sei nur ein Vorgeschmack von dem großen Frieden gewesen, den Gott den Menschen schenken will – fuhr der Pfarrer fort. Ohne Krieg und Streit, ohne Mord und Gewalt, ohne Hunger und Unrecht. Da würde dann keiner mehr gegen den anderen sein. Denn dann sei endlich Friede - der Friede, den die Juden Schalom nennen und auf den nicht bloß die Menschen, sondern auch die Tiere und überhaupt die ganze Schöpfung so sehr warten. Und dann zeigte der Pfarrer auf den kleinen Wolf, der da ganz friedlich neben dem Lamm lag und schlief. "Und so wollen wir dem Georg heute Nacht danken, dass er uns den Wolf in die Kirche getragen hat. Ein schöneres Bild für den Frieden auf Erden, den die Engel uns verheißen haben, hätten wir wohl kaum finden können."

Als der Gottesdienst aus war, steckte Georg seinen Wolf wieder unter den Mantel. Und jetzt hatte er auf einmal Platz im Schlitten von seinem Freund, und er musste die ganze Geschichte, wie er denn an den Wolf gekommen war, noch in derselben Nacht erzählen. Und auf dem Hof bat ihn die Bäuerin in die gute Stube und  brachte ihm Milch und eine Babyflasche, damit er den Weihnachtswolf aufziehen konnte. Der Bauer aber holte was zum Trinken aus dem Keller und sie tranken auf das Tierchen und stießen wieder und wieder auf den großen Frieden an. Seitdem hat man in der Kneipe in dem Dorf immer seltener "zum Wohle“ oder "Prost“ gehört, dafür immer häufiger "Schalom“, wenn die Männer einander zutranken.

Eine frohe Vorweihnachtszeit

Ulrich Jung
Referat Förderschulen

November 2022

"NOVEMBER"

01.11. Allerheiligen
20.11. Ewigkeitssonntag

Natürlich
ohne
Vergessen .....
Endlos
mit
bleibender
Erinnerung .....
Ruhe.
Bis 6.11. Herbstferien
Na klar
ohne
Verrechnen
Evaluieren
Mitschreiben
Bemalen
Erlesen
Reproduzieren.
11.11. St. Martin
Nicht
ohne
Verhalten
entdeckt
Martin
beherzt
einen am
Rand.
16.11. Buß- und Bettag
Nichts für mich
oder
vielleicht alles.
Erklär 
mir
Beten und Büßen.
Es
richtet auf.
27.11. 1. Advent
Natürlich gebunden
oder anders
vertreten der Kranze und
ein Licht und dann noch drei
mein
Bedürfnis nach
Erleuchten und 
Ritual.
Andauernd
Rückzug der Natur

Natur - 
ohnmächtig
verlierend.
Es ist eins
mehr: Sie 
braucht 
echt
Regeneration.
Frieden.
Bitte!

Nehmt
oder
versagt
es
mir.
Brennt
einfach
richtig im Herzen: Bitte macht Frieden!
Wortspiel-Geheimnis:
Was ist "Es"?

Nach
oben
verlässt
es
mich
bis
einer 
ruft.
W statt V.
L statt R.

Na?
Ob
vier
ein
Meeting
brauchen?
Echt?
Rieber nicht.

Claudia Dürr
(Pädagogische Ausbildung für Schule und Gemeinde im Vikariat)

Oktober 2022

Kreuze an unserem Weg

Wir alle kennen das: Ein einfacher Spaziergang an der frischen Luft, unterwegs um neue Kraft zu schöpfen, die Natur zu genießen, durchzuatmen ...
Da steht am Wegrand ein einfaches Kreuz – nicht mehr, nur so ein Kreuz aus Holz oder Stein. Manchmal, da nehme ich es kaum wahr. Ich gehe weiter. Und doch - dieser kurze Blick auf das Kreuz gibt mir das Gefühl: ich bin nicht allein auf meinem Weg.
Ein anderes Mal bleibe ich stehen. Ich erlebe das Kreuz als einen guten Ort, um innezuhalten und meine Gedanken zu sammeln.
Ich fühle mich verbunden mit den Menschen, die vor mir hier stehenblieben. So viele, die hier an die gedacht haben, die ihnen lieb gewesen sind, so viele, die ihre Sorgen und ihren Dank vor das Kreuz gebracht haben, so viele, die hier Trost gefunden haben. Und so kann auch ich meine Gedanken ausdrücken ...
Ich erlebe, wie all das, was uns so bewegt, hier am Kreuz durch Jesus Christus getragen ist. Eine große Kraft geht von diesem Kreuz aus, die uns vergewissert, dass Gottes Liebe nicht vor unserem Leben Halt macht – alle Höhen und Tiefen mit durchlebt.
Kraft schöpfen, das kann ich hier, um meinen Weg fortzusetzen -
vielleicht anders als zuvor, gelassener oder freier, vielleicht auch nachdenklich geworden ...

An dieser Stelle könnte ich gut mit den Gedanken schließen.
Beim Blick auf das eigene Leben, das Getragensein, das Kraftschöpfen bei Gott, das Finden neuer Perspektiven ...
Das Kreuz als guter Ort innezuhalten und vor Gott zu bringen, was uns bewegt.

Heute bringe ich auch meine Ratlosigkeit hinsichtlich des Krieges in der Ukraine vor das Kreuz. Das Kreuz ist und bleibt ein mächtiges Symbol gegen Gewalt. Jesus ist am Kreuz für seine Botschaft der Feindesliebe und der Gewaltfreiheit eingetreten und mit seiner Auferstehung werden wir vergewissert, dass die ohnmächtige Macht der Liebe stärker ist als Hass und Tod, dass Unrecht und Gewalt nicht das letzte Wort behalten werden.
Und doch weiß ich keine Antwort auf die Frage, wie in der Ukraine Frieden werden kann. Ich bin hin und her gerissen zwischen Jesu Botschaft der Feindesliebe und Gewaltfreiheit und der Frage, ob zum Schutz der Menschen Waffen als kleineres Übel nötig sind. Aber ich habe den Eindruck, wir müssten als Christen kritischer sein, wir müssten die menschliche Logik der Waffen stärker hinterfragen. Ich frage mich, ob wir die Botschaft des Kreuzes und der Gewaltfreiheit nicht vorschnell relativieren und einseitig darauf bauen, dass Waffenlieferungen größeres Leid verhindern würden. Dürfen wir so viel Geld für Waffen ausgeben, während zugleich die Mittel gekürzt werden, um Hunger und Not in unserer Welt zu bekämpfen?

Im Gebet am Kreuz, im Gebet um den Frieden bleibe ich mit meinen Sorgen und Fragen nicht allein. Im Gebet vertrauen wir uns und unsere Welt der Macht der Liebe Gottes an. Hier hat die Hoffnung ihren Ort, dass Frieden werden kann. Hier können wir neue Kraft schöpfen, um nach gewaltlosen Wegen der Konfliktbearbeitung zu suchen, um nach Wegen des Friedens und der Versöhnung zu suchen. In dieser Hoffnung haben vor uns Menschen wie Martin Luther King oder Nelson Mandela gewaltfreie Formen des Widerstands gegen Unrecht und Gewalt gefunden und Versöhnung ermöglicht. Das Vertrauen auf die Liebe Gottes richtet den Blick zudem auf unsere Möglichkeiten Leid zu lindern, Flüchtende aufzunehmen, Hunger zu bekämpfen. Hier bleibt es nicht bei meiner Ohnmacht, hier kann ich nach meinen Möglichkeiten selbst etwas tun.

Angesichts des Kreuzes nachdenklich geworden, im Vertrauen auf Gott und seine Kraft der Liebe nach guten Wegen suchend setze ich meinen Weg fort ...

Susanne Menzke

September 2022

Im Alltag das Leben feiern

"Jetzt geht der ganze Stress schon wieder von vorne los!" Wahrscheinlich können wir diesen Stoßseufzer einer Kollegin ganz gut nachvollziehen. Die Ferien sind vorbei. Ein ganzes Schuljahr liegt jetzt vor uns. Und wahrscheinlich kein "normales", sondern wieder eines mit besonderen Herausforderungen! Da wird der Alltag schnell wieder mühsam und vieles macht uns zu schaffen.
Und die Erholung, die der Urlaub – oder auch einfach nur das Ausruhen zuhause - gebracht hat? Die ist oft schnell wieder verflogen!

Da finde ich es schön, dass wir nicht verzweifelt auf die nächsten Ferien, den nächsten Urlaub warten müssen, bis das Leben endlich wieder Freude macht, bis es Freiräume gibt, Erholung und Genuss. Wellness für Leib und Seele ...

Mitten im Alltag das Leben zu feiern, dazu lädt uns die Bibel ein!
Beim Prediger heißt es:
"Auf, iss mit Freuden dein Brot und trink fröhlich deinen Wein! Denn Gott gefällt schon lange, was du tust. Jederzeit trage festliche Kleider und spar nicht mit duftendem Öl auf deinem Haar! Genieße das Leben mit einer Frau, die du liebst! So verbringe alle Tage deines vergänglichen Lebens, die Gott dir unter der Sonne schenkt – alle Tage, die nur ein Windhauch sind. Ja, das ist dein Anteil am Leben und an deiner Arbeit, mit der du dich unter der Sonne abmühst."
(Pred. 9,7-9 in der Übersetzung der Basisbibel)

Zum Genuss und zur Freude werden wir hier eingeladen. Es gefällt Gott, wenn wir das genießen, was er uns geschenkt hat, wenn wir feiern, wenn wir uns unseren Lebensmut nicht nehmen lassen, wenn wir uns wohlfühlen, mit unserem Körper und mit allen Sinnen.

Wenn wir uns dazu einladen lassen, dann braucht es oft nicht viel, um sich wohlzufühlen, um abzuschalten mitten am Tag oder am Ende eines anstrengenden Tages: das kann ein Cappucino oder ein Eis in der Herbstsonne sein, ein einfaches, aber leckeres Essen, abends ein Glas Wein und ein gutes Gespräch, das Zusammensein mit dem geliebten Menschen, Spiel und Spaß in der Familie oder mit Freund*innen, ein gutes Buch oder ein schöner Film, ein Spaziergang oder ein Besuch im Theater, Konzert oder Wellnessbad oder manches Andere. Bestimmt fällt auch Ihnen das Eine oder Andere ein, was Ihnen gut tut. Wir dürfen jeden Tag genießen, was Gott uns schenkt.

Und er lädt uns sogar dazu ein, regelmäßig einen ganzen freien Tag zu genießen als Wohltat für Leib und Seele: den Sonntag, eine Unterbrechung des Alltags mit seinen Forderungen und seiner zweckrationalen Logik. Einen Tag, der ganz anders sein kann. Ein Tag, um die Seele baumeln zu lassen. Ein Tag zur Besinnung und zum Gottesdienstbesuch, ein Tag zum Entspannen und Nichtstun, ein Tag zum Zusammensein mit Freund*innen und der Familie. Gott will, dass es uns gut geht. Er gönnt uns Wellness für Leib und Seele!

Mit diesen Gedanken wünsche ich uns allen einen guten und fröhlichen Start in ein neues Schuljahr!

Ihre Gudrun Wellhöfer
(Regionalstelle Oberfranken)

Bibeltext: BasisBibel, © 2021 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart. www.basisbibel.de

August 2022

Etwas Muße für uns ...

Herrliches zweckloses Tun.
Einzig allein um Ihrer selbst willen. Ein wenig Muße für uns ...

Muße lebt von der Freiheit von Effizienz - sich treiben lassen 

Einfach loslaufen, ohne Absicht und zurückgelegte Kilometer. Wer gern ein gutes Buch liest, evtl. sogar ein Fachbuch, sollte bitte nicht die Seiten zählen und unbewusst der Frage nachhängen, ob das etwas für seine Arbeit bewirkt.
Meine neue Erfahrung ist das herrliche Baden im Eiskanal. Ein wunderbares Sich-treiben-lassen, ohne dass man zählt, wieviel Strecke man gemacht hat.

Muße ist sehr sinnvoll, aber zwecklos - Gehirnerfrischung

Man kann heute viel abbilden. Die wunderbare Entdeckung ist, dass bei Tätigkeiten der Muße und zweckfreien Tätigkeiten mehr Hirnregionen aktiv sind als bei konzentrierten Arbeiten. Das Gehirn lässt locker und belebt sich frisch. Es beschäftigt sich mit sich selbst.
Dies ist zugleich eine Zeit der Inspirationen und Geistesblitze. Nicht verwunderlich, wenn man locker lässt, kommt Neues auf einen zu. Also auf zu herrlichen Spaziergängen des Gehirns.

Die Muse küsst gern die Muße 

Schon gewusst, dass John Lennon seine besten Songs nach einem Mittagsschlaf schrieb, und Isaac Newton erkannte die Schwerkraft beim Hinausblicken in den Garten. Ich denke, das kennt jeder, wie viele Einfälle da sind, wenn man z. B. flaniert und zwecklose Dinge tut.  
Nur: Warum vergessen wir das so häufig?

Muße ist aller Liebe, nicht des Lasters Anfang 

Gönnen wir uns einfach öfter mehr Leerlauf und nicht die dauernde Frage nach dem, was noch erledigt werden soll und muss. 
Wie kann es gelingen? 
Etwas tun, was man sehr gern mag! Der Flow dabei ist Muße. Es geht nicht nur ums Nichtstun, sondern um ein Tun, das erfrischt, das berührt. 
Das ist keine Technik, die man erlernt, aber eine Haltung: einfach mal loslaufen, losplätschern, lostanzen, loslieben, etc. Warum? Egal!

Uns erholsame Ferien mit viel Muße! 

Bernd Paulus

Juli 2022

Alles hat seine Zeit - auch die Klage

Liebe Leser*innen,

unser Glaube birgt viele Schätze: Er lädt uns ein zum Danken, wenn wir uns in einem Abendgebet besinnen, wofür wir an diesem Tag dankbar sein können, und das Glas als halbvoll anzusehen. Wir loben Gott für die Schönheit der Natur und der Schöpfung. Faszinierende Geschichten von Jesus erzählen von Heilung und von Heil. Oft redet die Bibel von Gott als einem liebenden Vater. Viele Geschichten entfalten die Kraft der Liebe zwischen den Menschen. Und nicht zuletzt wird vom Reich Gottes als einem Reich des Friedens gesprochen und in der Weihnachtsgeschichte singen die Engel: "Friede auf Erden!" Die Liste lässt sich lange fortsetzen.
Aber was, wenn nichts mehr bleibt, wofür man danken könnte, weil der Tag nur Not und Schrecken gebracht hat? Was, wenn von einer schönen Natur nichts mehr zu sehen ist, zwischen zerfallenden Betonmauern oder in einem Gefangenenlager? Was, wenn Menschen der schönen Natur nicht einmal die Nahrung für den nächsten Tag abringen können? Was, wenn Krankheit und Schmerzen an Leib und Seele einen Menschen in die Verzweiflung treiben? Was, wenn ein Mensch sich nicht einmal vorstellen kann, dass ein Vater liebevoll sein kann? Was, wenn Menschen sich hassen, einander nicht wahrnehmen oder grenzenlos quälen? Und was, wenn Krieg, Zerstörung, Morden und Folter regieren?
Was bleibt dann von dieser schönen Theologie? Ist es dann nicht ein Schönwetter-Glaube?

Nein, die Bibel ist wahrhaft kein Buch, das eine bunte Schönwetter-Theologie erzählt. Das machen höchstens wir Menschen daraus. Die Bibel ist ein sehr realistisches Buch, manchmal erschreckend realistisch. Aber auch, wenn die schönen Seiten des Lebens wegbrechen, birgt sie einen Schatz – die Klagepsalmen, wie z. B. den Psalm 13:

Ach Herr, wie lange noch?
Willst du mich etwa für immer vergessen?
Wie lange noch willst du dein Angesicht vor mir verbergen?
Wie lange muss ich mich um mein Leben sorgen,
tagaus, tagein Kummer in meinem Herzen tragen?
Wie lange darf mein Feind über mich triumphieren?
Schau doch her! Antworte mir, Herr, mein Gott!
Lass meine Augen in deinem Glanz leuchten,
sonst wird mich der Tod in den Schlaf wiegen!
Sonst sagt mein Feind: "Ich habe ihn erledigt!"
Und meine Gegner können jubeln,
weil ich ins Straucheln gekommen bin.
Aber ich habe fest auf deine Güte vertraut.
Jetzt lacht mein Herz vor Freude,
weil du mir geholfen hast.
Ich will ein Lied singen für den Herrn!
Denn er hat mir Gutes getan.

Diese Psalmen halfen und helfen gegen die Sprachlosigkeit angesichts verzweifelter Lebenssituationen. Und indem Menschen etwas in Worte fassen, etwas aussprechen, bekommt die Machtlosigkeit einen Riss.
In den Klagepsalmen rufen die Betenden zu Gott, denn sie haben den Glauben an Gottes Hilfe nicht gänzlich verloren – oder sie schreien gegen den drohenden Verlust der letzten Glaubenshoffnung an. Diese Anrede gibt der Klage eine Struktur, den Worten ein Gegenüber und verhindert ins Jammern abzugleiten.
In den Versen der Anklage wird einerseits die Not formuliert, aber auch oft Gott selbst angeklagt. Und die Texte zeigen, dass dies durchaus legitim ist. Gott ist ansprechbar für die Nöte des Lebens. In den vielen Klagepsalmen in der Bibel gibt es kaum eine Notsituation, die nicht irgendwo vorkommt. Und die Not, der Schrecken wird nicht nur benannt, nein – er wird herausgeschrien – kraftvoll - befreiend. Der Schmerz findet Worte.
Diese Benennung der Not mündet in die Bitte um Hilfe. Gott wird an seine Zusagen erinnert. Oft ist es aber nicht nur die Bitte um Hilfe, sondern ein Schrei nach Rache.

Zum Beispiel im Psalm 69, 24-26:

Lass ihre Augen dunkel werden,
damit sie nichts mehr sehen können!
Lass ihre Hüften beben vor Angst,
damit diese Leute für immer wanken!
Lass deine Wut über sie kommen!
Dein glühender Zorn soll sie treffen.
Ihr Lagerplatz soll verlassen sein!
In ihren Zelten soll niemand mehr wohnen.

Ein Schrei nach der Vernichtung der Täter und nach Wiedergutmachung. Dieser Wunsch nach Rache ist legitim. Aber es ist ein Schrei nach Gottes Rache. Dadurch wird eine Gewaltspirale gegenseitiger Rache und gegenseitiger Gewalttaten durchbrochen. Die Rache wird in die Hand Gottes gelegt.
Fast immer enden die Psalmen mit einem Lob Gottes und der Erinnerung an erlebte Hilfe und erfahrene Rettung. Sie enden mit einem hoffnungsvollen Ausblick.

Ich habe diese Art von Bibeltexten vor kurzem neu entdeckt. Eine Kollegin hat mit Schüler*innen aus sehr schwierigen Lebensverhältnissen mit solchen Klagepsalmen gearbeitet und die Jugendlichen selbst mit ihren Worten Klagetexte schreiben lassen. Die Ergebnisse waren teilweise hart – aber die jungen Menschen haben oft erstmals Worte für ihre belastenden Erfahrungen finden können.
Diese Klagepsalmen können ein Wegweiser sein, wie Glauben durch schwere Zeiten hindurch begleiten und der Sprachlosigkeit etwas entgegensetzen kann. Sie machen uns Mut, eigenes und fremdes Leiden nicht demütig zu ertragen oder Wut und Hass zu verdrängen, wo sie im Verborgenen gefährlich weiterwuchern, sondern es herauszuschreien und so neue Kraft zu finden.

Eine ausführlichere Auseinandersetzung mit dem Thema, eine Zusammenfassung des Buches von Barbara Strumann (Strumann, Barbara [2018]: In Psalmen der Gewalt begegnen. Überführung der Gewaltverflochtenheit in Sprache, Paderborn.) zur Arbeit mit Klagepsalmen in der Schule und Gedanken zum Einsatz im Religionsunterricht finden Sie hier

Ulrich Jung
(Referat Förderschulen)

(Psalmentexte: BasisBibel, © 2021 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart. www.basisbibel.de)

 

Juni 2022

Gedankenverstopfung

"Gedankenverstopfung – Ich habe Gedankenverstopfung." Diesen Satz sagt Olaf zu seinen zwei Handpuppen. Einem Erdferkel und einem Wolf. "Und ich", sagt das Ferkel leise, "ich habe Seelenverstopfung."

In einem Video, das ich gesehen habe, unterhalten sich die drei darüber, wie es ihnen gerade geht angesichts der Coronasituation und dem Krieg in der Ukraine. "Gedankenverstopfung – Seelenverstopfung". Mich haben diese Worte sofort angesprochen. Ja, so fühle ich mich auch. Der Syrienkrieg, die vielen Flüchtlinge aus Syrien, die Flüchtlinge aus Afrika, die Klimakrise mit Hochwasser, verheerenden Feuersbrünsten, Stürmen, Trockenheit, Corona und nun der Krieg und wieder Flüchtende und Angst und Ungewissheit, was die Zukunft bringen wird. Gedankenverstopfung löst das alles aus: Mir stockt der Atem. Hört das denn je wieder auf? Komme ich da noch mit? Kommt meine Seele hinterher angesichts all dieser Herausforderungen? Bekomme ich davon Seelenverstopfung? Ich erwische mich bei den Gedanken, ob ich das herrliche Wetter genießen darf, ob ich Urlaubspläne machen darf, ob ich Glück empfinden darf angesichts all der Menschen, denen großes Leid widerfährt durch diese Krisen.

"Ich mache einfach den Fernseher aus," sagt Olaf im Laufe des Gesprächs. "Ist das die Lösung?" fragt der Wolf. "Nein", antwortet Olaf leise, "das ist keine Lösung. Ich habe keine Lösung."
Nutzt es diesen Menschen etwas, wenn ich in Depression verfalle? Nein, gerade angesichts der Herausforderungen braucht es doch meine Kraft.

Mir fallen biblische Geschichten ein und ich bin jedes Mal fasziniert, wie aktuell diese alten Geschichten sein können, wie sie mir Antworten auf meine Fragen geben und mich bestärken. Da ist die Geschichte von Elia. Dieser Prophet kämpft mit aller Kraft gegen die Königin Isebel, die den Glauben an Jahwe, den Gott Israels, durch den Baalskult ersetzen will. Den Kult, den sie aus ihrer Heimat mitbrachte, als sie König Ahab heiratete. Leib und Leben setzt Elia aufs Spiel und irgendwann merkt er, dass er nicht mehr kann. Angst und Hoffnungslosigkeit angesichts der Macht der Königin rauben ihm allen Mut und alle Kraft. Er flieht, flieht in die Wüste, rennt um sein Leben, um dann in der Wüste Gott darum zu bitten, sterben zu dürfen. Er kann nicht mehr, spürt Gott nicht mehr, weiß nicht einmal, ob Gott überhaupt noch an seiner Seite steht. "Lass mich sterben, Gott. Es ist alles sinnlos, was ich tue, ich kann ja doch nichts ausrichten." Mit diesen Worten schläft Elia erschöpft ein. Dann rührt ein Engel ihn an, so wird erzählt, sagt "Steh auf und iss". Und Elia findet Brot und einen Krug Wasser. Er isst und trinkt und schläft erneut ein. Dreimal, so wird erzählt, findet Elia Brot und Wasser und schläft immer wieder ein. Irgendwann hat er genug Kraft getankt, um sich auf den Weg zum Horeb zu machen. Dort will er Gott um Rat fragen, hofft ihm zu begegnen und ihn fragen zu können, wie es weitergehen soll.

"Steh auf und iss, ruh dich aus, schlaf dir Kraft an und dann geh weiter deinen Weg." Das sind Worte, die mich berühren, die mich bestärken in diesen Zeiten. Manchmal habe ich das Gefühl, ich kann nicht mehr, will fliehen aus all diesen schrecklichen Nachrichten und erschütternden Bildern, mich zurückziehen irgendwohin, wo mich all das nicht erreichen kann. Und ich weiß, dass noch mehr auf uns zukommen wird: Inflation, Energiekrise, Klimaveränderungen, politische Veränderungen ... Aber ich will den Kopf nicht in den Sand stecken. Ich will kämpfen für Gerechtigkeit, Frieden, Bewahrung der Schöpfung, ich will die Hoffnung nicht aufgeben. Ich lebe in der Hoffnung auf Gottes Reich – und zwar auch in dieser Welt. Dafür braucht Gott uns Menschen, dafür will ich kämpfen mit all meiner Kraft. Und deshalb brauche ich meine Auszeiten, meine Kraftquellen. "Steh auf und iss, ruh dich aus."

Der Cappuccino, das Eis in der Sonne, die Wanderung durch die blühende Natur, das Gespräch mit lieben Menschen, gemeinsames Beten, Singen und Lachen. Dieses Innehalten löst die Verstopfungen der Gedanken und der Seele, lässt mich Abstand gewinnen, gibt mir Kraft und macht mich denk- und handlungsfähig.  

"Der Augenblick," sagt Olaf zu Erdferkel und Wolf, "der Augenblick, das Hier und Jetzt, das tut mir gut. JETZT habe ich euch beide lieb. JETZT freue ich mich darüber, dass wir zusammen sind. Das ist auch keine Lösung. Aber es tut gut."

Ein bisschen zu depressiv endet mir persönlich dieses Video. Vielleicht ist es doch eine Lösung, dieses Hier und Jetzt, dieses Sein im Augenblick. Kraft tanken im Innehalten und im Miteinander, um dann weitere Schritte gehen zu können, hin zu einer Lösung. Möge Gott uns dazu Kraft und Segen schenken.

Sabine Keppner
(Referat Grundschule)

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